Wikipedia: Mafiöse Strukturen, Manipulationen und Millionen

Peter Dettmer
4 min readOct 5, 2017

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Screenshot aus dem Fim ’Zensur — die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien’, der auf Youtube veröffentlicht wurde.

„Blockwart-Mentalität“, „Administratoren agieren nach Gutsherrenart“, „Löschhölle“… Wer im Netz nach Meinungen zu Wikipedia sucht, stößt schnell auf derartige Kommentare. Gleichzeitig mehren sich Vorwürfe zu „Mafiösen Strukturen“, Manipulationen und Millionenvermögen.

Die Folge: Sinkende Zugriffszahlen und immer weniger Teilnehmer, die bereit sind, sich ehrenamtlich an der Online-Enzyklopädie zu beteiligen. Ein Selbstversuch zeigt, wie schnell die Platzhirsche neue Teilnehmer von der Plattform vergraulen.

Als neuer ‘Wikipedianer’ sollte man ein verdammt dickes Fell mitbringen. Mein erster Beitrag wird zunächst stundenlang von mir auf der Wikipedia-Spielwiese erprobt und bis zur fertigen Version immer wieder überarbeitet, bis alle Schriftgrößen, Verlinkungen und Verknüpfungen perfekt sind. Ein ‘Korrekturabzug’ geht an die befreundete Künstlerin, für die der Neueintrag bestimmt ist. Dann der große Augenblick der Veröffentlichung: Begeistert blicke ich auf meinen ersten erstellten Wikipedia-Beitrag.

“Schlechte Manieren” oder „Wikis Willkür“

Doch die Freude währt nur kurz: Wie ein Rudel ausgehungerter Raubtiere stürzen sich Mitautoren auf mein Debüt, entfernen das Foto, mit der Unterstellung eines Copyright-Verstoßes, obwohl alle Rechte am Motiv bei mir liegen. Sie zerfleddern den Inhalt, bis nur noch ein Torso des Textes übrig bleibt. Krönung meines ersten Wikipedia-Tages: Die vollständige Löschung meines Beitrags wird beantragt, da dieser für eine Enzyklopädie nicht relevant sei. Was folgt ist eine Diskussion der Blockwarte, in deren Rahmen Äußerungen über den Promi-Faktor der Künstlerin gemacht werden, die mindestens hart am Rande einer Beleidigung sind. Entnervt lasse ich mit dem Vermerk {{Löschen|1= — ~~~~}} in meinem Profil meine eben erst veröffentlichte Autorenseite nach nur einem Tag wieder entfernen.

85 Prozent der Autoren steigen schnell wieder aus

Offene Plattform? Der Versuch eines Beitrags für Wikipedia endete in Frustration über die Willkür innerhalb der Community.

Recherchen eröffnen, dass ich die Sache nicht persönlich nehmen sollte. „85 Prozent steigen nach weniger als einem Jahr wieder aus“, beschreibt Thomas Urban in seinem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. „Schlechte Manieren bedrohen die Wikipedia“ urteilt Angela Gruber auf Spiegel Online über die Umgangsweise auf der Plattform „Viel Zoff in der Community“ veröffentlichte Gabriel Knupfer in der Handelszeitung oder „Wikis Willkür“ titelt Winfried Weithofer in den Stuttgarter Nachrichten.

Selbstherrliche Administratoren werden abgewählt

Eine Auseinandersetzung mit der Umgangsweise, die sich auch intern fortsetzt: Administratoren werden durch die Mitglieder mit deutlichen Kommentaren abgewählt: „Bei seinen desaströs willkürlichen Aktionen nach eigenem Gutdünken, wundert sich dieser Admin, dass er abgewählt wird? Ich nicht. So viel Selbstherrlichkeit ist eines Admins unwürdig.“

Wikipedia-Eintrag für 150 Euro

Die Stutenbissigkeit unter den Autoren könnte durchaus auch darauf beruhen, dass sich einige unter ihnen nachweislich die Veröffentlichung oder Manipulation von Beiträgen bezahlen lassen. Ein Künstler bestätigt im Gespräch: „Mir wurde ein Wikipedia-Beitrag über mich für 150 Euro angeboten.” Immer wieder gibt es entsprechende Berichte über riesige, mafiöse Strukturen innerhalb der Plattform, die zum Teil sogar von Wikimedia-Sprechern (Wikimedia Deutschland — Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e. V. ist der Verein, der die Plattform betreibt) offiziell bestätigt wurden. Sogar Schutzgeld-Erpressungen für Wikipedia-Einträge sind bereits vorgekommen.

Hier herrscht ein organisiertes Netzwerk

Die Filmemacher Markus Fiedler und Frank Michael Speer beschäftigten sich in gleich zwei Werken mit der Online-Enzyklopädie: In ihrem ersten Film mit dem Titel Die dunkle Seite der Wikipedia wurde belichtet, wie Wikipedia missbraucht wird, um bestimmte politische Meinungen zu verbreiten, während andere unterschlagen werden. Im Folgewerk beschrieb das Duo Zensur — die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien, dass ein organisiertes Netzwerk hinter allem steht.

Spenden für millionenschwere Organisation

Der als ‘Bettelbalken’ verrufene Spendenaufruf soll die ohnehin millionenschwere Organisation noch weiter bereichern. Foto: Screenshot

Und schließlich sind da noch die Spendenaufrufe, die immer wieder mal nervig auf der Startseite aufklappen, im Netz auch als ‘Bettelbalken’ bezeichnet und kritisch hinterfragt werden. Laut Süddeutsche Zeitung geht es der Wikipedia-Organisation finanziell blendend.

Immerhin besitze die Wikimedia-Stiftung fast 100 Millionen Euro, was Häme der Nutzer garantiert: „Wir werden jedes Jahr reicher und reicher, Danke Guys.“ Vielleicht ist eine Spende an eine Organisation, die nicht auf einem solchen Vermögen sitzt ja eher angebracht. “Offen für jeden“, das war einmal der gute Vorsatz beim Start der deutschsprachigen Wikipedia im Mai 2001. 2017 und 2.107.438 Beiträge später darf dieser in Frage gestellt werden.

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Peter Dettmer

Freier Autor, DJV NRW, zuvor Funke Mediengruppe, Rheinische Post, Universität Duisburg-Essen